Gerhard Loewe und die Geheimnisse seines Seelenlebens
Geboren wurde ich 1952 im württembergischen Weinsberg, der Stadt des Weins, der treuen Weiber und der Rosen. Während mit diesen Begriffen wohl eher positive Assoziationen einhergehen, löst ein anderer mit Weinsberg zusammen hängender Punkt bei vielen eher ambivalente Gefühle aus: die dort angesiedelte psychiatrische Klinik, in der meine Eltern beschäftigt waren und auf deren Gelände ich aufwuchs. „Aha, höre ich einige nun sagen, die mich kennen. „Dieser Umstand erklärt im Nachhinein ja einiges. So manche „Verrücktheiten, die ich in meiner (trotz besagten Milieus sehr unbeschwert von mir empfundenen) Kindheit erlebt habe, waren mir im späteren Leben das eine oder andere Mal durchaus Ermutigung für eigenes (klitzekleines) normabweichendes Verhalten.
In meiner Vita spiegeln sich diese „Geheimnisse meines Seelenlebens nur dürftig wieder. Nach meinem Abitur liebäugelte ich mit dem Beruf des Sportjournalisten. Auch Lehrer oder Richter zu werden, fand ich reizvoll. Studiert habe ich dann aber doch etwas anderes: Pädagogik an der Universität Trier. Hier lernte ich einiges aus der Welt der Sozial- und Geisteswissenschaften. Vor allem aber lernte ich neben meiner Muttersprache „Schwäbisch auch Hochdeutsch – so gut es einem Schwaben halt möglich ist.
Wie nicht anders zu erwarten, zog ich mein Studium trotz WG-Leben brav durch – ohne Wechsel des Studienfachs, ohne größere Skandale und ohne anschließende Weltreise. Ich stieg einfach direkt in den Beruf ein und landete – angesichts meiner Vorgeschichte kein Wunder – im Sozialpsychiatrischen Dienst des Caritasverbands Pforzheim. Die dort über acht Jahre gesammelten Erfahrungen halfen mir, meine Toleranz gegenüber „anders tickenden Menschen und ihrem Verhalten, dessen Sinn ich oft erst im Nachhinein oder auch gar nicht erschließen konnte, zu erweitern. Vielleicht übte ich mich damals schon unbewusst in der pädagogischen Strategie „Abwarten in respektvoller Distanz.
1986 wagte ich mich an Neues. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vielleicht noch etwas radioaktiv verstrahlt, zog ich paradoxerweise nach Osten und landete vor den Toren Münchens im Freistaat Bayern in der Kinder- und Jugendhilfe. Turbulente fünf Jahre als Erziehungsleiter im Heilpädagogischen Zentrum Lohhof warteten hier auf mich. Zum Glück sorgte die Geburt meiner beiden Söhne in dieser Zeit für höchst erfreuliche Lichtblicke in einem von vielen Grabenkämpfen geprägten beruflichen Alltagsgrau. Aus heutiger Sicht des EEClers muss ich einräumen, dass ich vom Wohlbefinden damals ungefähr so weit entfernt war wie der VfB Stuttgart aktuell von der Tabellenspitze der Fußballbundesliga. Gott sei Dank gab es dort wenigstens schöne Biergärten, tolle Baggerseen und die Berge in der Nähe.
Irgendwie hatte ich damals so eine Ahnung, dass der (inzwischen dicht gemachte) Laden, in dem ich arbeitete, keine erstrebenswerte Zukunftsperspektive bot, so dass ich wieder ins gelobte Schwabenland zurückkehrte. Dieser Entschluss entpuppte sich als goldrichtig, schließlich bin ich nun bereits im 22.Jahr im „Josi in Stuttgart tätig. Mittlerweile zum systemischen Therapeuten ausgebildet übernahm ich dort zunächst die Leitung der sechs Therapeutischen Tagesgruppen, im Zuge der Regionalisierung der Hilfen zur Erziehung 2002 dann die Bereichsleitung dieses Aufgabengebietes für Stuttgart-Ost.
Die Familien- und Stadtteilorientierung in St. Josef brachte es mit sich, dass ich eines Tages auf den Early Excellence Ansatz stieß, daran Gefallen fand und ihn auf Geheiß meines Geschäftsführers alsbald den Gesellschaftern als Vision von St. Josef vorstellen durfte. Von da an arbeitete die Idee in immer mehr Köpfen (und später auch Herzen) von St. Josef weiter.
Folgerichtig nahmen meine Kita-Kolleginnen Steffi Entzmann, Moni Lehenberger und ich 2007 an der Multiplikatorenausbildung zur EEC-BeraterIn in Berlin teil. Im gleichen Jahr wurde in St. Josef das Familienzentrum eröffnet, welches von der Heinz und Heide Dürr Stiftung großzügig gefördert wurde. Ich wurde mit der Projektleitung betraut und hatte das Glück, viele ideenreiche und engagierte Mitstreiter in der Mitarbeiter- und Elternschaft zu finden, die schon bald eine bunte Angebotspallette auf die Beine stellten.
Dass es uns mit guten Argumenten und dank der Mitwirkung ganz vieler Menschen in nicht nachlassenden Bemühungen gelungen ist, fachliche und politische Entscheidungsgremien von der Sinnhaftigkeit der Idee „Familienzentrum zu überzeugen, erfüllt mich mit Freude. Seit September 2012 erhalten wir nun eine städtische Förderung auf Grundlage des Stuttgarter KiFaZ Konzeptes (Kinder- und Familienzentren). Und an den beiden Kita-Standorten von St. Josef in Bad Cannstatt entstehen nun ebenfalls Familienzentren, deren Aufbau ich begleiten darf.
Im Verbund mit den sich ständig vermehrenden EEC-Sternen in Stuttgart habe ich das Thema EEC im süddeutschen Raum „mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein weiter getragen. Bereits im dritten Durchgang bieten wir nun eine EEC-Beraterausbildung in Stuttgart an (Kooperation mit der Bildungsakademie St. Loreto Schwäbisch Gmünd), bei der ich als Kursleiter und Referent mit von der Partie bin. Schon zweimal haben wir im Unterschied zu den „Bahnhofsexperten „Stuttgart 21 gut hingekriegt – beide Kurse hatten 21 TeilnehmerInnen, zur Hälfte aus Baden-Württemberg, zur anderen Hälfte aus Österreich, der Schweiz und verschiedenen Bundesländern. Schön, dass wir bei Konsultationsbesuchen im Josi und bei Veranstaltungen anderswo auch als EEC-Botschafter auftreten dürfen. Ganz besonders freut mich dabei, dass wir dies oft unter Einbeziehung von Eltern tun, die als Nutzer oder Programmanbieter Interessierten sehr authentisch von den Partizipationsmöglichkeiten in einem Kinder- und Familienzentrum berichten können.
Ab Sommer beginnt ein neuer Abschnitt meines Lebens – vorbei die Zeit des Bürobebens: Start in die Freistellungsphase meiner Altersteilzeit. Obwohl mir viele im Laufe der Jahre ans Herz gewachsene Menschen dann sicher schmerzlich fehlen werden, freue ich mich doch auf diese Zeit. Ich habe keine Angst vor dem „großen schwarzen Loch, vor dem mich mancher liebe Mitmensch mit gut gemeinten Beschäftigungsangeboten und Ehrenämtern am liebsten heute schon bewahren möchte. Ich will aber erst einmal ganz bewusst diese Zeit des „in between, diese „neutrale Zone erleben, bevor ich mich neuen Dingen zuwende.
Langweilig wird es mir ohnehin nicht werden, da ich mich in Sachen EEC in der Beraterausbildung weiter engagieren werde und auch meiner Honorartätigkeit an der Fachschule für Heilpädagogik Neckarsulm, die ich nun schon seit 20 Jahren ausübe, mit Freude weiter nachgehen werde. Es ist persönlich sehr bereichernd, lernwillige Menschen über mehrere Jahre auf ihrem Weg begleiten zu dürfen. Etwas vom eigenen Wissen und Erfahrungsschatz im Sinne von „Generativität (Erikson) in Liebe an andere weiter zu geben, ist nicht nur in der Elternrolle wunderbar, sondern auch als Mentor, Lehrer o.ä. .
So konnte ich in rudimentären Ansätzen meine einstigen Berufswünsche doch noch realisieren. Vom „Sportjournalisten gibt es regelmäßige Tischtennisspielberichte in der Zeitung, vom „Richter gelegentliche Familienmediationen und vom „Lehrer die eine oder andere Unterrichtsstunde im Bereich von Fort- und Weiterbildung.
Ansonsten freue ich mich natürlich darauf, mich bald meinen Hobbys mehr widmen zu können z.B. dem Radfahren, Tischtennisspielen, Doppelkopfspielen, Wandern, (Träubles-)Kuchenessen, dem Bücher lesen und dem Musikkabarett. Letzteres ist übrigens ein EEC-Produkt, entstanden beim Abschluss unserer Beraterausbildung in Berlin. Vielleicht entdecke ich auch noch neue Elemente, in denen ich mich wohl fühle. „Schau’n mer mal, sagt Beckenbauer.
Gerhard Loewe von der St. Joseph gGmbH in Stuttgart