Fortbildung in Berlin

Reflexion meiner Pädagogischen Arbeit auf der Grundlage der pädagogischen Strategien.

von Ursula Trüper

1. Sanfte Intervention: Warten und Beobachten in respektvoller Distanz
Mir fällt dabei ein Junge mit arabischer Muttersprache ein in der Kita NBH. Hussein war damals drei Jahre alt und redete fast gar nicht. Vor allem weigerte er sich, im Morgenkreis irgendetwas vor den anderen Kindern zu sagen. Eines Vormittags spielte er mit der Holzeisenbahn und ich setzte mich einfach neben ihn. Nach einiger Zeit reichte ich ihm eine Schiene an, fragte ihn, ob er als nächstes eine gerade oder eine gebogene Schiene braucht. Der Junge baute hochkonzentriert an seinem Eisenbahnnetz. Er schaute mich zwar zunächst nicht an, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm meine Gegenwart unangenehm war. Vielmehr gab er mir bald Anweisungen, welche Schienen er braucht. Nach einiger Zeit begann ich, sein Tun sprachlich zu kommentieren und fragte ihn auch noch andere Dinge: wohin sein Zug fährt, ob er einen Bahnhof braucht, damit der Zug halten kann usw. Und er gab mir mit Einwortsätzen Antwort. Ich habe das Gefühl, dass das der Durchbruch bei ihm war. Inzwischen ist er ein unerschrockener Redner, der ohne Schwierigkeiten im Morgenkreis von seinen Erlebnissen erzählt.

2. Kontextsensivität: Den kindlichen Kontext kennen und fähig sein, die früheren Erlebnisse des Kindes mit einzubeziehen, damit Lernprozesse an Erfahrungen anknüpfen können
Als Sprachförderkraft habe ich leider nicht so viel mit den Eltern zu tun, wie ich mir wünschen würde. Mir fällt in diesem Zusammenhang ein Junge von 4 Jahren arabischer Herkunft ein, Abdallah, der von seinen Eltern in eine Koran-Schule geschickt wird, um arabisch zu lernen. Er sagt zwar immer wieder: „ich hasse arabisch, aber er ist auch sehr stolz, dass er schon in die Schule geht. In Vorbereitung des letzten Zuckerfestes hat er begeistert eine Moschee gebastelt. Mit mir philosophiert er gern über Gott („Ich liebe Gott, er hat mir gegeben eine Auge, eine Haare, eine Mund…). Seine Mutter hat großes Vertrauen in die Kita und ist sehr stolz auf ihren Sohn. Glücklicherweise geben ihr die Kita-Kollegen nicht zu verstehen, dass sie die Koranschule irgendwie bedenklich finden. In der Kita kennt man seine Geschwister, die ihn oft abholen. Wenn er aus dem Urlaub im Libanon zurückkehrt, interessiert es uns alle, wie es dort gewesen ist. Der Junge ist ein begeisterter Erzähler (auf deutsch – niemand von den Kollegen kann arabisch). Jeden Montag sprudelt er nur so von Erlebnissen des Wochenendes. Ebenso, wenn er aus dem Urlaub zurückkommt. Ich glaube, dass eine Lust am erzählen auch damit zusammenhängt, dass die Kollegen in der Kita sich ehrlich für seine Familie und seine Kultur interessieren.

3. Zuwendung durch physische Nähe und Mimik und damit Bestätigung (Affirmation) des Kindes
Hier fällt mir wieder ein vierjähriger Junge arabischer Herkunft, Ali, ein. Er hat viele Geschwister und ich glaube, seine Eltern haben nicht allzu viel Zeit für ihn. In der Kita fiel er nie irgendwie auf, weder positiv noch negativ. Mir fiel auf, dass er mich oder andere Erzieher und Kinder nicht direkt ansprach, sondern dass er „vor sich hinredete, als ob er selber nicht damit rechnen würde, dass ihm jemand zuhört. Er sah einen beim Reden auch nicht an. Entsprechend hörte ihm auch niemand zu. Ich begann, Blickkontakt mit ihm aufzunehmen, wenn er redete. Manchmal fasste ich seine Hand an, um ihm zu signalisieren: ich hör dir zu. Und ich fragte nach: „Und dann, Ali, wie ging es weiter? Es dauerte einige Zeit, bis er verstand, dass ich wirklich wissen wollte, was er zu erzählen hatte. Irgendwann nahm er Blickkontakt zu mir auf, wenn er mit mir sprach, und später tat er das auch bei anderen. Er entwickelte eine große Zuneigung zu mir. Und seine Sprachfähigkeit entwickelte sich geradezu explosionsartig.

4. Das Kind ermutigen, zu wählen und selbst zu entscheiden
Da fällt mir eine Geschichte aus meiner Kinderladenzeit ein. Wir waren auf Kinderladenreise und besprachen jeden Tag mit den Kindern, was es zum Mittagessen geben sollte. Eines Tages wünschten sich einige Kinder „Fischstäbchen mit Pommes. Wir waren ein sehr gesundheitsbewusster Kinderladen und ich glaube, die meisten Kinder hatten in ihrem Leben noch nie so etwas Ungesundes gegessen. Wir versuchten, den Kindern Gegenvorschläge zu machen. Aber sie blieben dabei und wir wurden überstimmt. Also machten wir Fischstäbchen mit Pommes. Mein Eindruck war, dass es alle Kinder mit großer Befriedigung erfüllte, als sie merkten, dass wir uns – trotz unserer Einwände – an diesen Mehrheitsbeschluss hielten. (Wir servierten übrigens eigenmächtig auch noch Gurkensalat zu den Fischstäbchen. Über den war nicht abgestimmt worden, aber er wurde ebenfalls begeistert verzehrt).

5. Das Kind dabei unterstützen, angemessene Risiken einzugehen
Da fällt mir ein fünfjähriger Junge aus meiner Kinderladenzeit ein, den ich ermutigt habe, vom 3-Meterbrett zu springen. Er war dort hochgeklettert und ich stand unten im Wasser am Beckenrand und sagte ihm: Spring ruhig, Roman, es kann dir nicht passieren! Er sprang und natürlich passierte nichts. Und falls er irgendwie Probleme bekommen hätte, hätte ich ihn jederzeit wieder rausfischen können. Der Witz bei dieser Geschichte ist, dass ich selbst (was Wasser und Sprungbretter angeht) ein schrecklicher Feigling bin, und mich selbst nie und nimmer trauen würde, vom 3-Meterbrett zu springen.

6. Das Kind ermutigen, etwas zu tun, was den Erwachsenen im Ablauf selbst unklar ist. Das Kind bei diesem Experiment begleiten
Als „sprachfördernde Maßnahme unternehme ich manchmal Spaziergänge mit einem oder zwei Kindern. Meistens sprechen wir gemeinsam ab, wohin es gehen soll. Aber einmal übernahm ein Mädchen von 5 Jahren, Najat, komplett die Führung. Wir fuhren erst mit der S-Bahn und stiegen dann an einem Bahnhof aus, den sie bestimmte. Wir beide kannten die Gegend nicht und hatten keine Ahnung, ob es hier irgendwas Interessantes gab. Es war ein brüllendheißer Sommertag und es machte keinen besonderen Spaß, zwischen den Häusern rum zu irren. Nach einiger Zeit schlug ich vor, jemand nach einem Spielplatz zu fragen. Dieser Vorschlag wurde angenommen, und wir fragten also, und zwar beide. Ich sagte: „Entschuldigen Sie… und Najat ergänzte: „Wissen Sie, wo hier ein Spielplatz ist. Die Leute waren sehr nett zu uns (leider redeten die meisten nur mit mir) und wir fanden sehr schnell einen wunderbaren Spielplatz. Für uns beide war das ein echtes Abenteuer.

7. Wissen, dass die Haltung und die Einstellung des Erwachsenen das Kind beeinflussen
Da fällt mir wieder ein vierjähriger Junge, Rafael, aus meiner Kinderladenzeit ein. Wir waren alle auf dem Rummel und Rafael wollte unbedingt Geisterbahn fahren. Außer vor Sprüngen vom Sprungbrett habe ich auch noch schreckliche Angst vor Gespenstern und Monstern aller Art (niemals würde ich z.B. freiwillig einen Gruselfilm mir anschauen). Aber Rafael wollte unbedingt auf die Gesiterbahn. Ich nahm mich also zusammen, setzte mich – als wäre das überhaupt nichts Besonderes – in den kleinen Wagen und nahm Rafael auf den Schoß. Wir fuhren an allerlei grauenvollen blutüberströmten Monstern, denen die Gedärme raus hingen usw. vorbei und Rafael quietschte vor Vergnügen, wohl auch dank des „schützenden Armes den ich um ihn legte. In Wirklichkeit hat aber viel eher er mich beschützt – vor meiner eigenen Ängstlichkeit.

8. Der Erwachsene zeigt, dass das Kind und er im Lernen Partner sind
Das geht mir oft so, gerade auch bei der Sprachförderung. Es macht mir großen Spaß, irgendwelche Quatschgeschichten oder Gedichte der Kinder aufzugreifen und gemeinsam weiterzuspinnen. Ich erinnere mich an einen Ausflug, wo ein vierjähriges türkisches Mädchen und ich uns auf dem gesamten 10minütigen Weg zur U-Bahn ein endloses Gedicht ausdachten über ein Mäuslein, das in einem Häuslein lebt usw. Das Mädchen war überhaupt nicht mehr zu stoppen. Später, als ich mich mal mit der KonLab Methode nach Zvi Penner beschäftigt habe, stellte ich fest, dass diese ganze Aktion pädagogisch überaus wertvoll war und dass das Kind auf diese Weise eine Menge über die deutsche Sprache gelernt hat. Aber ich habe nicht deswegen damals beim Dichten mitgemacht, sondern weil mir die Herstellung dieses Endlosgedichtes genauso viel Spaß gemacht hat, wie dem Kind.


Ursula
Ursula Trüper vom Nachbarschaftsheim Neukölln in Berlin