Simone Paganini, Leiterin der Kita Barbarossastraße
Es sind die Trolle, die Zauberer, die Hexen und Hobbits, die durch Simone Paganinis literarische Kinderwelt irrlichterten. Fitchers Vogel, ein Märchen der Gebrüder Grimm, in dem es um Entführung, Hexenmeister, Mädchenmorde, Neugier, Verbote und obsiegende List geht, war eigentlich keine Gutenachtlektüre für ein Kindergartenkind, doch es war ihr Lieblingsmärchen und die Mutter musste es immer wieder vorlesen. Am liebsten abends, wenn es draußen schon dunkel und im Bett wohlig warm war. Die kleine Simone fand es gruselig und wunderschön. An den kleinen Vampir erinnert sie sich, auch das ein Lieblingsbuch: Wie gerne wäre sie mit Rüdiger in dem schwarzen, von Motten zerfressenen Umhang durch die Nacht in eine Parallelwelt geflogen, in der andere Regeln herrschen! Auch Krabat von Otfried Preußler, die düstere Geschichte des gleichnamigen sorbischen Waisenjungen, der sich zur Zeit des großen Nordischen Kriegs in schwarzer Magie übt, um seinem Lehrmeister die Stirn zu bieten, zog sie später in den Bann. Sie liebte diese kalten Schauer, die ihr über den Rücken liefen und es scheint, sie liebt sie noch heute.
Die Millenium-Trilogie des schwedischen Journalisten Stieg Larsson und die Geschichten um den Kriminalpsychologen Sebastian Bergmann, Protagonist in den Büchern des Autorenduos Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt, stehen heute in ihrem Bücherregal neben den historischen Romanen und Fantasy-Literatur von Tad Williams, George R.R. Martin, Tolkien natürlich. Simone Paganinis Augen leuchten, wenn sie davon erzählt. Sie mag die klare Sprache der nordischen Schriftsteller, die präzisen Beschreibungen, die liebevolle Entwicklung der Charaktere: Die skandinavische Kriminalliteratur ist eine sehr kühle, analytische, andererseits aber mit sehr empathischen Charakterzeichnungen, sehr warm und zugewandt und mit viel Raum für die Entwicklung der Figur. Sie mag diese Art, Welt und Menschen zu sehen.
Simone Paganini wurde 1975 in einem kleinen Schwarzwalddorf geboren, in einem Vier-Mädel-Haus, wie sie sagt. Bei Urgroßmutter, Großmutter und Mutter verbrachte sie die ersten sechs Jahre. Das prägt, sagt sie: Sie war umgeben von emanzipierten Frauen, die – aus unterschiedlichen Gründen – sehr früh auf eigenen Füßen stehen mussten. Mit 14 Jahren hatte einst die Urgroßmutter entschieden: Es reicht!, ihr Bündel gepackt, das winzige Heimatdorf verlassen und war in die Schweiz gegangen, zu Fuß und über mehrere Tage hinweg. Sie verdingte sich als Kindermädchen, sparte ihr Geld und kam mit fast 20 Jahren zurück nach Baden, um einen Waschsalon zu gründen. Der Mann, für den sie sich entschied, war aktiver Gewerkschafter und fiel, im Krieg verwundet, als ernsthafter Ernährer der Familie später aus.
Vor dem Hintergrund dieser und anderer Familiengeschichten wuchs Simone Paganini auf. Mit 6 Jahren zog sie mit der Mutter in die Stadt, nach Freiburg. Die Mutter war politisch aktiv, links von der Mitte, eine rote Socke, wie alle in der Familie, sagt Simone Paganini – und es klingt, als sei sie damit sehr einverstanden. Mit der Ente, einem 2CV mit großem Anti-Atomkraft-Aufkleber, zuckelten die alleinerziehende Mutter und die Tochter durch Freiburg und bis nach Holland hoch, Frankreich, Kroatien, Spanien folgten. Sie mochten es, unterwegs zu sein, andere Menschen in anderen Ländern mit anderen Gewohnheiten zu treffen.
Heute zieht es Simone Paganini immer wieder nach Schottland und Irland. Sie mag den Humor, die Ironie, den Sinn für Skurrilität. Mit ihren hellen grauen Augen und dem dunklen vollen Haar wird sie dort oft für eine Einheimische gehalten. Auch weil sie gerne mal bis spät in die Nacht am Kamin oder im Pub diskutiert und debattiert. Diese Kneipengespräche sind wichtig, sagt sie, wenn man die Menschen und das Land kennen lernen will. Den Schotten hätte sie die Unabhängigkeit gewünscht.
Sie interessiert sich für Politik. Das bleibt nicht aus, lacht sie, wenn die Mutter aus der 68er-Bewegung und man selbst aus der grünen Ecke Deutschlands, der Hauptstadt der Grünen kommt.
Die Mutter, eine überzeugte Grüne, war gegen Atomkraft und für Tempo 100 und bot in den Augen der Tochter nur dann ein leicht groteskes Bild, wenn sie sich im schicken Kostüm mit High-Heels und Aktentasche morgens hinter das Steuer der Ente klemmte und ins Büro tuckerte. Die Mutter war Groß- und Außenhandelskauffrau, und bei so viel kauffraulichem Talent in der Familie lag es nahe, dass auch Simone Paganini dachte, das wäre etwas für sie. Im Sanitärhandel bei Thyssen und Schulte zwischen Kloschüsseln und Heizungen merkte sie schnell, dass dies nicht so war. Sie suchte sich eine Praktikumsstelle in einer Kita, und danach war der Weg für sie klar: Wenn Du pädagogisch weiterkommen willst, musst Du nach Berlin, hatte ihr die Kitaleiterin geraten. Das überlegte sie nicht zweimal, packte ihre Koffer, zog nach Berlin und begann die Ausbildung am Pestalozzi-Fröbel-Haus.
Seitdem ist sie hier heimisch, in Berlin, wo sie Vielfalt, Gelassenheit, Toleranz, Kultur und Freiheit schätzt und am PFH, dass es so viele Möglichkeiten des Austauschs, der Anregung, der Weiterbildung, des Dialogs und Impulse bietet.
Seit einigen Monaten beteiligt sich Simone Paganini – nunmehr seit einem Jahr Leiterin der Kita Barbarossastraße – mit ihrem Team an einem Projekt der Fachhochschule Potsdam. Dabei geht es um Philosophieren mit Kindern, um einen Ansatz und eine Technik, noch einmal anders in den Dialog mit dem Kind zu treten, genauer zuzuhören, Fragen anzuregen, zum Weiterdenken und Weiterentwickeln von Geschichten und Möglichkeiten zu ermuntern. Solche Fortbildungen und Projekte sind wichtig, sagt Simone Paganini, und gut für das ganze Team. Sie würden sich jetzt oft bewusster Zeit nehmen für die Fragen und Ideen der Kinder, genauer zuhören, um gegebenenfalls noch einmal nachzufragen. Eine Frage kann die Möglichkeit eröffnen, ganze Gedankengebäude zu bauen.
Simone Paganini ist immer neugierig auf Neues, solange das Neue sich im Kontext von Early Excellence bewegt. Der positive ressourcenorientierte Blick ist ihr wichtig, die Kinder in ihrer Eigenständigkeit und Eigenartigkeit zu fördern und zu unterstützen und mit den Eltern in den Dialog zu gehen.
Wenn sie den Kindern vorliest, dann, wen wundert es, am liebsten Märchen: die Klassiker der Gebrüder Grimm, von Andersen und Hauff, aber auch Märchen aus Irland, aus Norwegen, aus Island, daneben moderne Märchen – und wenn sie vorliest, dann mit viel Leidenschaft und Theatralik, gesteht sie lachend. Ihr macht das Spaß. Und die Kinder sind fasziniert von der Märchenwelt, die sich ihnen öffnet.
text/foto: Prof. Dr. Sabine Hebenstreit-Müller
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