
Seit 2009 arbeitet das „Bildungsnetzwerk Südliche Friedrichstadt“ daran, im Berliner Bezirk Kreuzberg eine familienfreundliche Infrastruktur zu schaffen zu unterstützen. Der Early Excellence-Ansatz ist von Beginn an die Philosophie hinter der Netzwerkarbeit. Ein Bericht von Mariella Castelo und Kerstin Wiehe.
Exzellente Bildungsprozesse ermöglichen
Unter dem Leitspruch „Jedes Quartier ist exzellent!“ wird der Blick auf die Stärken und Ressourcen des Quartiers und seiner Bewohner gerichtet. Unterschiedliche Akteure und Kooperationspartner arbeiten daran, unter dem Motto 2Bildung vernetzen – Bildungschancen erhöhen“ allen Kindern die Chance auf exzellente Bildung zu geben. 2017 wurde diese Arbeit erstmals durch eine Förderung der Heinz und Heide Dürr Stiftung unterstützt und konnte so fachlich einen nächsten Schritt in der Erprobung und Verankerung des Early-Excellence-Ansatzes zu gehen. So konnten in Form von Mikroprojekten verschiedene Bildungseinrichtungen die vernetzte Arbeit mit Schemas in der Praxis erproben.
Unter der Überschrift „Schemas als Schlüssel zum Tor der Welt – Exzellente Bildungsprozesse ermöglichen“ sind sieben Mikroprojekte in unterschiedlichen Bildungseinrichtungen durchgeführt und im Netzwerk ausgewertet worden. Schemas sind als bestimmte Verhaltensmuster zu verstehen, die ein Kind aufzeigt, während es die Welt entdeckt und sie zu begreifen versucht. Ist man sich des Schemas bzw. der dominierenden Schemas bewusst, indem sich das Kind gerade befindet, versteht man sein Verhalten besser und kann es darin unterstützen, seine Umgebung zu begreifen und sein kognitives Denken weiterzuentwickeln.
Um die Schemas der Kinder zu erkennen, wird in allen Mikroprojekten ein ressourcenorientiertes Beobachtungssystem angewendet. Wichtig ist hierbei der positive Blick: Es wird auf Stärken, Potenziale und Interessen geschaut. Mehrere Pädagoginnen und Pädagogen beobachten und dokumentieren unabhängig voneinander und tauschen sich anschließend aus. Daraufhin wird ein individuelles Angebot erstellt, das die Interessen und Schemas des Kindes aufgreift, um es in seiner Entwicklung optimal zu fördern. Die Eltern werden als Experten für die Lebenssituation ihrer Kinder betrachtet und in den gesamten Prozess mit eingebunden.
Sieben Mikroprojekte im Jahr 2017
In der Einrichtung „Wildfang-Kindergarten auf dem Dach“ fand die Beobachtung unter dem Projektnamen „Beobachtung im Prozess“ exemplarisch an zwei Kindern statt. Auf die Beobachtung und Dokumentation folgte ein individuelles Angebot, wie zum Beispiel ein Ausflug auf einen Erdbeerhof. Den Kindern wurde ermöglicht, ihren Vorlieben nachzugehen und die volle Aufmerksamkeit der Erzieherinnen und Erzieher zu genießen.
Das interkulturelle Familienzentrum TAM und die dazugehörige Kita haben während des Mikroprojekts „Beobachtungsprozesse am Kind gemeinsam gestalten“ eines der Kinder beim freien Spiel in beiden Einrichtungsbereichen beobachtet, die Beobachtungen dokumentiert und ein interessenbezogenes Angebot erstellt. Hierbei wurde das gesamte Team eingebunden, um einen gemeinsamen Lern- und Austauschrahmen zu bekommen.
Die Kurt Schumacher Grundschule hat im Rahmen des Mikroprojekts „Entspannungstechniken von Kindern für Kinder – Bewegungsmöglichkeiten schaffen“ gemeinsam mit Eltern und Schülern einen Fühlweg auf dem Schulhof errichtet. Kinder können ihre Schemas, wie zum Beispiel „verbinden“ und „gerade Linien“, beim Balancieren, in Partnerübungen und auf einer Yogawiese ausleben.
Die Kita Kochstraße und das Familienzentrum TAM haben während des Projekts „Integrative Elternarbeit mit geflüchteten Familien“ die Beobachtung an unterschiedlichen Kindern aus geflüchteten Familien vorgenommen. Alle Beobachtungen wurden in Form einer Foto- und Videodokumentation festgehalten und an die Eltern ausgehändigt. Mit Hilfe einer Arabisch-sprechenden Vermittlerin wurde den Eltern das Konzept der Schemas erklärt und gemeinsam nach Möglichkeiten zur Förderung gesucht.
Der Verein Globale e.V. hat mit der Lernwerkstatt am Mehringplatz einen Ort geschaffen, an dem Kinder dazu angeregt werden, Fragen zu stellen und auf spielerische Art zu entdecken und zu lernen. Im Rahmen des Mikroprojektes wurden die Eltern in diesen Lernkontext eingebunden. Es geht darum, Spaß und Neugierde beim Entdecken der Welt bei Kindern und Eltern anzuregen. Es ist ein Elternbrief entstanden, der Tipps und Ideen enthält, wie Kinder mit ihren Familien auf spielerische Weise entdecken und lernen können. Eltern wurde das Konzept der Schemas erklärt, damit sie das Verhalten ihrer Kinder verstehen und ihre Lernprozesse unterstützen können. Einmal in der Woche können sie in der Lernwerkstatt gemeinsam mit ihren Kindern forschen.
In der Kita und dem Familienzentrum Ritterburg des Nestwärme e.V. wurde die Gruppe „Growing together“ gegründet aus neun Kindern, die noch nicht in der Kita sind und deren Eltern. Nachdem den Eltern das Konzept der Schemas erklärt wurde, haben Pädagogen und Eltern gemeinsam beobachtet und die Beobachtungen schriftlich dokumentiert. Es wurde vermittelt, wie man das Lernen der Kinder unterstützen und ihre Schemas aufgreifen kann ohne teures Spielzeug, sondern mit alltäglichen Haushaltsgegenständen. Mit Dosen und Deckeln können Kinder beispielsweise stapeln und sortieren und auf diese Weise spielerisch die Welt entdecken.
Die Kita „Kindervilla Waldemar“ hat in Kooperation mit dem Platypus Theater mit dem Programm „Arme Beine Licht Kopf Augen Worte – Theaterspielen in der Kita“ einer Gruppe von neun Kindern zwischen drei und vier Jahren die Möglichkeit geboten, sich im kreativen Spiel zu entfalten und Rhythmus und Stimme zu trainieren. Die Schemas der Kinder (zum Beispiel verhüllen, zudecken, Rotation) waren die Grundlage für die Entwicklung kleiner Spielszenen und Rollenspielen.
Fazit aus den Mikroprojekten
Den Early Excellence-Ansatz in den Kitas und Familienzentren zu verankern erfordert Einsatz. In Schulungen haben sich die Pädagoginnen und Pädagogen die Grundlagen des EEC–Ansatzes inklusive der Schema-Theorie und der Leuvner-Engagiertheitsskala angeeignet. Um der Erlebniswelt der Kinder näher zu kommen, haben die Erwachsenen selbst gespielt, geforscht und ihr eigenes Verhalten mit der Schema-Theorie verknüpft.
Auch die Eltern mussten sich erst auf die neue Methode einlassen. Eine Mutter beschreibt ihre Erfahrung mit Early Excellence in der Kita Wildfang im Online-Magazin „Little Years“ – siehe auch http://www.littleyears.de/blog/earlyexcellence-die-individuellen-starken-der-kinder-sehen/: Die Eltern seien dem Projekt zunächst mit Skepsis begegnet. Early Excellence klinge nach „übertriebener Förderung, nach Frühchinesisch und Kinderyoga.“ Diese Befürchtung wurde nicht bestätigt. Early Excellence ist kein elitärer Begriff, sondern steht dafür, dass jeder Mensch einzigartig ist. Als besonders wertvoll erachtet die Mutter den positiven ressourcenorientierten Blick mit dem auf die Kinder geblickt wird. Es werde viel zu oft darauf geschaut, was die Kinder noch nicht können. Bei Early Excellence steht im Vordergrund das Kind mit seinen Stärken und Interessen wahrzunehmen und zu fördern.
Die Stimmen der Eltern aus den anderen Mikroprojekten sind ebenso positiv. Eltern gaben an, dass sie das Verhalten ihrer Kinder durch die Schema-Theorie besser verstehen und so besser auf sie eingehen können. Durch die Foto- und Video-Dokumentationen und den Austausch ist eine stärkere Zusammenarbeit mit mehr Transparenz und Vertrauen entstanden. Die Eltern erhalten einen besseren Einblick darin, was ihr Kind macht und, dass es „gesehen“ und gefördert wird.
Nicht nur zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern ist mehr Transparenz und Vertrauen entstanden, sondern auch zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kitas und Familienzentren. Bei den pädagogischen Fachkräften ist in allen Mikroprojekten der Wunsch gewachsen, dauerhaft mit dem EEC-Ansatz in den Einrichtungen zu arbeiten. Die Beobachtung, Dokumentation und das individuell auf das beobachtete Kind zugeschnittene Angebot ermöglichen es, eine intensive Beziehungsarbeit leisten zu können.
Die Heinz und Heide Dürr Stiftung hat dem „Bildungsnetzwerk Südliche Friedrichstadt“ die Förderung für ein weiteres Jahr bewilligt.
Autorinnen: Mariella Castelo und Kerstin Wiehe